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5. Rhein-Ruhr Dialog 

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Am 23.04.2024 hat sich der 5. Rhein-Ruhr Dialog der Rolle der betrieblichen Gesundheit im Konstrukt des ESG-Reportings (E-Environmental, S-Social, G-Governance) gewidmet. Die Vielfalt an Teilnehmenden aus Gesundheitswesen, Forschung, Politik und Wirtschaft hat zu einem inhaltlich starken Abend beigetragen. Drei Impulsvorträge lieferten (dringliche) Denkanstöße, die in darauffolgenden Workshops debattiert und lösungsorientiert bearbeitet wurden.

Die Impulsvorträge

Prof. Dr. Christian Hagist thematisierte in Vortrag 1 den drohenden Crash unseres Sozialversicherungssystems. Dabei betonte er, dass in den Medien aktuell immer wieder die Rente und ihre Reform im Fokus steht, obwohl sehr bald die gesetzliche Krankenversicherung durch massiv steigende Ausgaben weitaus größere fiskale Probleme aufweisen wird. Problematisch ist, dass eine Reform der Krankenversicherung weitaus komplexer ist als die der Rente. Umso stärker muss dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Die Inzidenzen der 10 häufigsten nichtübertragbaren Krankheiten werden in Deutschland in den kommenden Jahren weiterhin massiv ansteigen. Berechnungen zu Folge kann nur intensive Präventionsarbeit den Anstieg mildern und das Gesundheitssystem langfristig stabilisieren und entlasten. Diese können Krankenkassen und ebenso Unternehmen im Sinne des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) für ihren Wettbewerb nutzen. 

Im 2. Vortrag griff Prof. Dr. Ingo Froböse die Dramatik auf und stellte den Bezug zur Gesundheit im Betrieb auf. Der Anstieg der durchschnittlichen Krankheitstage seit 2008 zeigt eine besorgniserregende Entwicklung die zukünftig durch den demografischen Wandel und die damit verbundene Multimorbidität verschärft wird. Hierunter leidet nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Prof. Dr. Ingo Froböse betont die Notwendigkeit einer neuen Präventionskultur und fordert daher ein Umdenken: Die bisherigen Programme passen nicht mehr zu den veränderten Anforderungen und Werten der heutigen Arbeitswelt. Insbesondere für die junge Generation müssen neue, relevante Themen in den Fokus rücken, um die Prävention nachhaltig zu gestalten und dadurch die Arbeitswelt und das Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen.  

In Vortrag 3 präsentierte Theresa Winkels, Leiterin der Wirtschaftsförderung Düsseldorf, die Relevanz von Gesundheit als Wirtschaftszweig. Insbesondere die Themen Digital Health und Health Tech sind ein wachsender Markt, der Start-ups und Unternehmen in die Landeshauptstadt Düsseldorf lockt. Das Thema Gesundheit und Prävention wird wirtschaftlich in vielen Ebenen mitgedacht, wie beispielsweise beim Bau von neuen ökologisch-nachhaltigen und gesundheitsförderlichen Bürokomplexen. Neben der intensiven Förderung des Wirtschaftszweiges durch Beratung, Vernetzung und Messe-Angebote u. v. m., bietet die Stadt Düsseldorf ihren Mitarbeitenden ein breites Spektrum an Gesundheitsangeboten. Diese sind z.T. so ausgelegt, dass sie ebenso zugänglich für alle Bürger:innen sind, wodurch im Hinblick auf die kommunale Gesundheit Synergien geschaffen werden.  

Die Vorträge haben eine besorgniserregende Lage des deutschen Gesundheitssystems skizziert. Die Menschen werden älter und morbider, die Gesundheitskosten steigen massiv und gleichzeitig sinkt die Zahl derer, die den Generationenvertrag stabilisieren. Neue Ideen und Technologien sind zwar auf dem Vormarsch, aber noch keine Lösung für das anstehende Dilemma. Alle Redner:innen sind sich einig: Prävention braucht einen neuen Stellenwert und muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. 

Workshop: Bedeutung der Gesundheit bei ESG

Seit diesem Jahr hat die Europäische Union die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verabschiedet und verpflichtet Organisationen auch Informationen über Umwelt- und soziale Aspekte, sowie verantwortungsbewusste Unternehmensführung zu veröffentlichen (in Form eines ESG-Reportings). Ab 2025 gilt diese Regelung auch für kleinere und mittlere Unternehmen. Die ESG Reportings könnten einen Anker für das Thema Gesundheit in Unternehmen darstellen. Leider ist im „S“ des ESG-Reportings die Gesundheit nur basal verankert – in Form der ohnehin gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes oder der Leistungen des SGB 9. Ein ganzheitliches und strategisches betriebliches Gesundheitsmanagement wird in den jetzigen Regelungen nicht als Pflicht, sondern als Kür verstanden. In den Workshoprunden wurde diese Diskrepanz diskutiert.  

Zunächst wurde gemeinsam erarbeitet, wie weit der Gesundheitsbegriff im Sinne des ESG gefasst werden müsste, um Wirksamkeit entfalten und den in den Vorträgen skizzierten Problemen begegnen zu können. An dieser Stelle waren sich alle Teilnehmenden einig: Gesundheit fängt bei einer gesunden Unternehmenskultur an, was bedeutet, dass das Thema von oberster Hierarchie-Ebene in alle Arbeitsbereiche hineingetragen, und bei allen Entscheidungen mitgedacht werden muss. Gesundheit braucht Priorität, welche nur durch ein grundlegendes Verständnis zur Wechselwirkung zwischen Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Individuums als auch des Unternehmens selbst forciert werden kann. Um dies zu erreichen, muss die Führungsebene als Vorbild und Multiplikator dienen sowie zielgerichtet entsprechende Unternehmensvorgaben umsetzen.

Darüber hinaus müssen Unternehmen es schaffen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung anzubieten, die sich an den tatsächlichen Bedarfen der Beschäftigten orientieren. Derweil gibt es kaum Gesundheitsförderungskonzepte, die eine sich wandelnde Arbeitswelt (New Work) berücksichtigen. Um diesem Wandel gerecht zu werden braucht es flexible Lösungen, die individuelle Hilfestellung bieten. Ebenso muss ein betriebliches Gesundheitsmanagement ganzheitlich, systemisch und strategisch, d.h. zielgerichtet gedacht werden. Damit das gelingt, bedarf es Kennzahlen, um Maßnahmen zu steuern und alle Bemühungen fortlaufend optimieren zu können

Workshop: KPIs Gesundheit

Im Zuge der Workshoprunden wurde über sinnvolle Gesundheits-KPIs für ein ESG-Reporting debattiert. Die Fluktuationsrate in einem Unternehmen wurde als guter Indikator für eine gesunde Unternehmenskultur herausgestellt. Ebenso spiegelt die Mitarbeiter:innen-Zufriedenheit diese wider. Als KPI der sich auf das Unternehmen bezieht, wurde zudem die verpflichtende (Gesundheits-)Weiterbildung der Führungskräfte und darüber hinaus Zielvereinbarungen zur Umsetzung gesunder Führung oder sogar konkreter Maßnahmen genannt. Ebenso könnten hier absolvierte e-Learnings o.Ä. ein sinnvoller Indikator sein. Die Nutzung von Krankentagen als Kennzahl für ein Reporting wurde kritisch diskutiert. Es wurde herausgestellt, dass Krankentage nur in Zusammenhang mit anderen Aspekten (wie z.B. Mitarbeiter:innen Zufriedenheit, Altersstruktur, Umsatz, Arbeitsaufkommen) oder im zeitlichen Verlauf betrachtet werden sollten, um eine tatsächliche Relation zu Bemühungen im Bereich der Gesundheitsförderung herstellen zu können. Ebenso könnten getätigte Analysen im Bereich BGM und die darauffolgenden ausgeübten Maßnahmen in ein Reporting integriert werden. Bezogen auf das Individuum könnte die Gesundheitskompetenz der Belegschaft ein guter Kennwert sein, der z.B. stetige Aufklärung im Bereich Gesundheit widerspiegelt.   

Workshop: BGM verpflichtend? 

Leider ist die Integration eines ganzheitlichen BGM in ESG-Reportings aktuell noch nicht verpflichtend. Unter der Annahme es käme zu einer Verpflichtung wurden Herausforderungen und Chancen der Stärkung des Aspektes Gesundheit in der „S“-Säule debattiert. Als Herausforderungen wurden zahlreiche äußere Umstände, wie beispielsweise auch Lobbyismus genannt. Darüber hinaus wurde die fehlende Planbarkeit von (Gesundheits-)Budgets als Konsequenz von neuen Krisen (Krieg, Naturkatastrophen, Pandemien) als Herausforderung der Politik und in Unternehmen genannt. Ebenso wurden fehlende Ressourcen, wie Zeit, Geld und auch Kompetenzen als große Barriere, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen angenommen. Auch das Fehlen von Wirksamkeitsnachweisen (aufgrund fehlender oder wenig aussagekräftiger Kennzahlen) kann die Akzeptanz für eine BGM-Pflicht langfristig untergraben. Allen Herausforderungen zum Trotz waren sich alle Teilnehmenden einig, dass Gesundheit in Zukunft in jedem Unternehmen einen sehr hohen Stellenwert einnehmen muss. Eine Forcierung des betrieblichen Gesundheitsmanagement im Rahmen des ESG birgt neben den Herausforderungen große Chancen, den in den Vorträgen skizzierten Problemen entgegenzutreten. So wurde das Potential herausgestellt, durch die Gesunderhaltung der Arbeitnehmenden dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Zum einen durch die Verringerung von Krankentagen, zum anderen aber durch die Bindung von Mitarbeitenden und die Attraktivierung des Unternehmens als Arbeitgeber:in. Ebenso kann durch eine gesunde Unternehmenskultur die Motivation und die Produktivität gesteigert werden.

Neben diesen Chancen hat sich in allen Debatten herausgestellt, dass Gesundheit im Betrieb, und darüber hinaus einen neuen Stellenwert in der Gesellschaft erlangen muss. Alle Teilnehmer:innen aus den Bereichen Wirtschaft, Forschung, Politik und Gesundheitswesen waren sich einig, dass die aktuellen Bemühungen im Bereich der Prävention, sei es im Betrieb oder in anderen Settings, noch nicht ausreichen, um den drohenden Kipppunkten der Sozialversicherungszweige entgegenzuwirken. Diesen kann nur durch gemeinsame und zielgerichtete Anstrengungen begegnet werden und es bedarf eines Schulterschlusses der unterschiedlichen Akteur:innen im Bereich Prävention. Dies kann mit Fokus auf das Setting Betrieb zusammenfassend nur so gelingen:  

Impulse für den weiteren Dialog

  • Prävention muss interdisziplinär und settingübergreifend in Lebenswelten stattfinden 
  • Um ESG nachhaltig und langfristig effizient und effektiv umzusetzen, ist der Blick langfristig auf die Gesundheit der Mitarbeitenden zu richten 
  • Prävention in Unternehmen muss die Aspekte von New Work kreativ und innovativ berücksichtigen und so gilt es, traditionelle Interventionen zur Prävention zu hinterfragen und zu modernisieren 
  • Führung stellt für das Thema Prävention eine wesentliche Einflussgröße dar und so ist insbesondere die Aus-oder Fortbildung von Führungskräften in diesem Themenfeld für die Zukunft entscheidend 
  • Parallel gilt es, für das betriebliche Setting aussagekräftige Kennzahlen zu entwickeln, die eine effektive Steuerung von Maßnahmen erlaubt 

Allein um diese Einigkeit in Gesprächen einzufangen, war die Veranstaltung ein voller Erfolg. Jetzt gilt es den Worten Taten folgen zu lassen und gemeinsam die gesellschaftlichen Probleme anzugehen. Die Denkfabrik fischimwasser und unsere Partner:innen beim Center for Non-Profit Management and Social Impactder Otto-Beisheim-School of Management (WHU) freuen sich auf den weiteren Dialog, indem einzelne Kernthemen in den Fokus gerückt und angepackt werden können. 

Aftermovie